“Alles schlecht”: So vernichtend bilanziert Toto Wolff nach Bahrain
“Alles ist schlecht”: So vernichtend wie nach dem Formel-1-Saisonauftakt 2023 in Bahrain hat sich Toto Wolff noch nie über sein Mercedes-Team geäußert. Doch die Hoffnung, nach dem enttäuschenden Jahr 2022 den Anschluss an die Spitze wieder zu finden, hat sich zumindest vorerst zerschlagen. Und der Rückstand ist eher größer als kleiner geworden.
2022 flog Mercedes mit 27 Punkten aus Bahrain nach Hause, diesmal sind es nur 16. Besonders besorgniserregend ist der Rückstand auf Branchenführer Red Bull. Lewis Hamilton verlor in 57 Rennrunden 51 Sekunden auf Max Verstappen. Das deckt sich mit Hamiltons Selbsteinschätzung vom Freitag, in der er befürchtet hatte, dass man derzeit eine Sekunde hinten liege.
Wolff nimmt das frustriert zur Kenntnis: “Es gibt keine positiven Dinge, nicht eine einzige positive News hier. Es fehlt an Pace, es fehlt an Downforce, und dann geht natürlich gar nichts, weil dann fährst du dir auch den Reifen kaputt”, sagt er im Interview mit ‘Sky’ und unterstreicht, dass man jetzt “relativ viel zu reparieren” habe.
“Wenn man jetzt die Rangordnung anschaut, dann ist Red Bull auf einen anderen Planeten unterwegs”, analysiert Wolff. “Aston Martin ist unglaublich, die sind eigentlich Zweitschnellster auf der Bahn, wenn Alonso freie Fahrt hat. Vor einem Jahr waren sie P17 und P19 in Qualifying, und jetzt fahren sie hier ganz vorn mit. Verdient. Aber bei uns: Seuche.”
Was Wolff am Sonntagabend noch gesagt hat
Nach Ende der internationalen TV-Übertragungen trifft sich Wolff am Sonntagabend üblicherweise mit Vertretern der schreibenden Presse. Obwohl da schon etwas Zeit vergangen war, saß der Stachel über die schlechte Performance der beiden Autos tief. In seiner Analyse fallen Sätze wie: “Alles ist schlecht.”
“Die Qualifying-Pace ist noch einigermaßen in Ordnung, aber im Rennen haben wir die Konsequenzen gesehen. Man muss da nicht herumeiern: Es fehlt uns an Downforce, wir rutschen zu viel und wir fahren gefühlt rückwärts”, sagt er.
“Ende der vergangenen Saison sah es so aus, als hätten wir aufgeholt, und wir dachten, es kommt nur drauf an, welche Strecken uns liegen und welche nicht. Jetzt sieht es so aus, als hätte sich unser Rückstand auf Red Bull verdoppelt oder verdreifacht”, erklärt Wolff, den nur die Relation zum besten Team interessiert: “Alles dazwischen, Ferrari, Aston, das sind Nebenschauplätze für uns.”
Tatsächlich ist Mercedes in Schlagdistanz zu Aston Martin und Ferrari, laut Dateninterpretationen des Technologieunternehmens PACETEQ derzeit Nummer 2 und Nummer 3 im Power-Ranking der Formel 1. Doch der Abstand zu Red Bull ist, besonders auf die komplette Renndistanz gesehen, enorm.
Dabei hat Mercedes in Bahrain einiges ausprobiert. Als der W14 am zweiten Testtag dramatisch zickte und das Heck für Hamilton kaum zu bändigen war, wurde das Set-up über Nacht umgekrempelt. Und für das Rennwochenende kam ein anderer Heckflügel ans Auto. Große Sprünge machte man damit aber nicht.
Wolff hält es für möglich, dass der W14 ein Auto ist, das mehr Anpressdruck benötigt. Eine Binsenweisheit. Aber: “Wir sind letztendlich beim Low-Downforce-Heckflügel geblieben. Vielleicht hätte uns der andere Flügel beim Reifenverschleiß geholfen.” Gleichzeitig sagt er: “Ich glaube, die Aston Martins hätten wir so oder so nicht halten können.”
Schmerzvoll: Mit dem gleichen Motor geschlagen
Mercedes befindet sich in einer schwierigen Situation. Dass ausgerechnet der Aston Martin AMR23, ausgestattet mit Mercedes-Powerunit und -Technologie, am Werksteam vorbeigezogen ist, lässt nur den einen Schluss zu, dass das Aston-Designteam um Dan Fallows einen besseren Job gemacht hat als das Mercedes-Designteam um Mike Elliott.
Dessen Position steht zumindest nach außen hin nicht zur Diskussion. Bei Mercedes zeige man mit dem Finger auf Probleme, nicht auf Personen, hört man aus dem Team. Doch Gerüchten zufolge soll es einen Richtungsstreit innerhalb des Mercedes-Technikteams geben. Weil sich das Fiasko offenbar schon im Winter abgezeichnet hat.
Dazu muss man wissen: In der zweiten Jahreshälfte 2022 sprach Wolff öffentlich davon, das bestehende Mercedes-Konzept für 2023 über den Haufen zu werfen. “Die DNA des Autos, das Konzept, wird sich verändern”, kündigte er im November erstmals explizit an.
Ein paar Tage später gewann George Russell den Grand Prix von Brasilien. Das könnte zu einem Umdenken geführt haben – denn die DNA des W14 ist, so hört man, zumindest keine komplett andere als die des W13.
Jetzt endgültig: Wandert das Konzept auf den Müll?
Bahrain war jetzt jener “dramatische Wake-up-Call”, so Wolff, der vielleicht notwendig war, um sich vom bisherigen Konzept endgültig zu lösen: “Wir haben es vergangenes Jahr eindeutig nicht hinbekommen, und wir dachten, wir kriegen das auf die Reihe, indem wir bei diesem Konzept bleiben. Das hat nicht funktioniert. Jetzt müssen wir das korrigieren.”
“Man muss jetzt alles versuchen, das Auto komplett auf den Kopf stellen, gnadenlos analysieren und dann versuchen, einen Schritt nach dem anderen zu machen, und dann hoffentlich große Schritte”, sagt der Mercedes-Teamchef.
Die Gerüchte, erstmals aufgetaucht rund um die Präsentation des W14 vor den ersten Tests, wonach Mercedes Rückstand haben könnte, haben sich also bewahrheitet. Das Rennergebnis von Bahrain war jetzt laut Wolff “die Bestätigung für das, was wir kommen sehen haben”. Jetzt setzt er alle Hoffnungen auf ein neues Konzept: “Das muss man auch. Es gibt sowieso keine andere Wahl.”
Doch ein umfangreiches Update zu entwickeln, dauert Wochen, wenn nicht Monate. In Bahrain war die Rede von einer möglichen “B-Spec” des W14 in Imola Ende Mai. Die wird es nicht geben. In Zeiten der Budgetobergrenze sind komplette B-Versionen von Formel-1-Autos ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Zu eng ist das Korsett, das die Regelhüter den Ressourcen der Teams aus Kostengründen angelegt haben.
Was in der Chassisfabrik in Brackley bereits in Arbeit ist, ist ein umfangreiches Update der Bodywork-Aerodynamik und der Seitenkästen. Imola ist das sechste Saisonrennen. Mercedes wird bis dahin nicht tatenlos bleiben. Doch ein größerer Wurf erfordert eben mehr Entwicklungszeit als ein paar neue Luftleitbleche.
“Ich träume schon lang nicht mehr von Wundern”, sagt Wolff im Hinblick auf das nächste Rennen in Saudi-Arabien. “Ich erwarte daher auf einer Strecke, die sehr hecklimitiert ist, keine Wunder. Der Asphalt dort ist rau, und das ist wahrscheinlich unsere größte Schwachstelle. So gesehen kann es danach nur besser werden, wenn eher frontlimitierte Strecken kommen.”