Exklusiv: Warum Chaz Davies nicht mit der Ducati Panigale V4R harmonierte
Chaz Davies fuhr von 2014 bis 2020 für das Ducati-Werksteam in der Superbike-WM. In dieser Zeit wurde Davies drei Mal Vize-Weltmeister. Zusammen mit Ducati konnte Davies 28 WSBK-Rennen gewinnen und war viele Jahre lang der einzige ernstzunehmende Gegner von Rekord-Champion Jonathan Rea.
Von 2014 bis 2018 ließ Davies seine Ducati-Markenkollegen regelmäßig hinter sich. Die Hoffnungen für 2019 waren groß, als Ducati mit der Panigale V4R das erste Superbike mit vier Zylindern präsentierte. Doch mit dem Wechsel vom V2- zum V4-Motor zeigte die Formkurve von Davies nach unten.
Wir haben exklusiv mit dem ehemaligen Ducati-Werkspilot über diese Umstellung gesprochen und nach den Gründen gefragt, warum der große Erfolg mit der V4-Panigale nicht realisiert werden konnte.
Genau genommen kämpfte Davies bereits in der WSBK-Saison 2018, der finalen Saison mit dem Zweizylinder-Bike, mit einigen Problemen. In der Abschiedssaison der V2-Panigale konnte Davies nur zwei Rennen gewinnen.
Welches Problem Chaz Davies bereits ab der Saison 2018 zurückwarf
“In der Saison 2018 änderten sich die Reifen. Pirelli führte neue Reifen ein. Sie änderten das Format und das hatte einen gewissen Effekt auf mich und meinen Fahrstil”, erklärt Davies im Gespräch mit ‘Motorsport-Total.com’ und fügt hinzu: “Die Erfahrungswerte, die wir mit den alten Reifen hatten, waren nicht mehr zu gebrauchen.”
Pirellis Umstellung zum Big-Size-Format zwang Davies dazu, seinen vergleichsweise aggressiven Fahrstil anzupassen. Er gewann in Buriram und in Aragon zu Beginn der WSBK-Saison 2018 je ein Rennen und konnte danach nicht verhindern, dass Jonathan Rea mit Siegen in Serie seinen vierten WSBK-Titel einfährt.
Im Winter 2018/2019 folgte dann der Wechsel von der titellosen V2-Panigale zur mit Spannung erwarteten V4-Maschine. Im Laufe der Saison 2018 testete Ducati das neue Superbike bereits und ging gut vorbereitet in die Tests mit den WSBK-Werkspiloten. Davies erhielt mit Ex-MotoGP-Pilot Alvaro Bautista einen neuen Teamkollegen, war aber nach wie vor der am besten bezahlte Ducati-Pilot in der Superbike-WM.
Als Alvaro Bautista die jahrelange Ducati-Speerspitze in den Schatten stellte
Bautista legte zu Beginn der WSBK-Saison 2019 eine beeindruckende Siegesserie hin. Der Spanier gewann die Rennen teilweise mit großen Vorsprung und ließ die versammelte Superbike-Elite alt aussehen.
Während Bautista dominierte, fuhr Davies nur im Mittelfeld und verpasste bei den ersten zwei Events das Podium. Erst auf seiner Paradestrecke in Aragon schaffte er es als Dritter aufs Podium. Von Bautista war Davies aber weit entfernt.
Es war offensichtlich, dass Davies’ Fahrstil nicht mit dem neuen V4-Bike harmoniert. “Das Motorrad lenkte nicht richtig ein, ich fuhr zu lange in Schräglage und deshalb ging mir der Grip aus. Das verstand ich erst nach einer halben Saison mit dem V4-Bike”, erklärt Davies.
“Wir wechselten zu einer etwas konservativeren Geometrie im Vergleich zu den anderen Fahrern. Ich fuhr zuvor mit dem V2-Bike ein ziemliches extremes Set-up. Nachdem wir die Abstimmung änderten, funktionierte es besser. Ich konnte besser einlenken. Das war ein Teil des Puzzles”, schildert Davies, der in der zweiten Saisonhälfte besser in Schwung kam.
Warum die V2-Panigale besser mit Chaz Davies’ Fahrstil harmonierte
“Aus Balance-Sicht harmonierte das V2-Bike besser mit meinem Fahrstil”, vergleicht Davies und begründet: “Das Motorrad hatte etwas mehr Last auf dem Hinterrad. Es war nicht so frontlastig wie das V4-Bike. Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Motorrad zu viel Gewicht auf dem Vorderrad hat, dann kann ich das Motorrad nicht verzögern und einlenken.”
“Ich bremse normalerweise sehr tief in die Kurven. Durch das zusätzliche Gewicht hatte ich zu viel Druck auf dem Vorderrad”, erklärt Davies. “Das V4-Bike drängte mir einen bestimmten Fahrstil auf. Ich musste hart bremsen, die Bremse aber zeitig lösen und dann die maximale Schräglage fahren.”
“Das kam Alvaro entgegen, denn diesen Stil hat er perfekt drauf. Es ist sein natürlicher Fahrstil, den er aus der MotoGP kannte. Er fuhr viele Jahre diesen Stil”, bemerkt Davies und erklärt den MotoGP-Stil: “Man bremst hart, bremst etwas zeitiger, weil der Michelin-Vorderreifen etwas kritisch ist. Dann löst man die Bremse und vertraut dem Vorderreifen. Deshalb ist das V4-Bike wie für Alvaro gemacht.”
WSBK 2020: Leichter Aufwärtstrend und das Aus im Ducati-Werksteam
Ducati arbeitete hart, um Davies das gleiche Gefühl zu vermitteln, das er mit der V2-Panigale hatte. “Als wir die Geometrie im richtigen Arbeitsfenster hatten, konnte ich gute Ergebnisse einfahren. Meine zweite Saisonhälfte 2019 war gut”, erinnert sich Davies, der in Laguna Seca ein Rennen mit der V4-Panigale gewinnen konnte.
In der Saison 2020, der zweiten Saison mit der V4-Maschine, war Davies konstant stärker. Alvaro Bautista war zu Honda gewechselt und Scott Redding kam als neuer Britischer Superbike-Champion ins Ducati-Werksteam. Der neue Teamkollege hatte aber erneut die Oberhand.
Redding duellierte sich mit Rea um den Titel und unterlag beim Saisonfinale in Estoril. “Ich wurde 2020 Gesamtdritter der Meisterschaft. Es war also kein komplettes Desaster. Wir gewannen ein paar Rennen”, bilanziert Davies, der beim Saisonfinale 2020 erfuhr, dass er seinen Platz an Michael Rinaldi verliert.
Chaz Davies konnte mit der V4-Ducati nie sein volles Potenzial zeigen
Der Rest ist Geschichte. Davies gewann sein finales Rennen als Ducati-Werkspilot und ging mit Ungewissheit in die Winterpause. Mit Hilfe von Aruba und Ducati wurde Davies im Folgejahr im GoEleven-Team untergebracht und erhielt eine Werksmaschine. Doch die WSBK-Saison 2021 war geprägt von Verletzungen und Rückschlägen. Im Herbst gab Davies in Jerez seinen Rücktritt bekannt.
Die Kombination aus der Ducati Panigale V4R und Chaz Davies ging nicht als Traumbeziehung in die Superbike-Geschichte ein. “Ich musste viel härter arbeiten, um das Motorrad zu meinem Motorrad zu machen”, bemerkt der Waliser rückblickend.
“Ich musste mich neu erfinden und mich ständig daran erinnern, was ich wie machen muss. Ich konnte also nicht natürlich fahren. Und wenn man nicht natürlich fährt, dann kann man nicht 100 Prozent aus sich herausholen”, weiß der dreimalige Vizechampion. “Diese kleinen Details spielen eine große Rolle”, so Davies, der seit der WSBK-Saison 2022 für Ducati als Riding-Coach tätig ist.